Situation in Russland und die Auswirkungen der russischen Innenpolitik auf die Situation im Nahen Osten und in der Ukraine

Ein Gespräch der GRÜNEN mit Manfred Sapper, Politikwissenschaftler und Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa"

07.03.16 –

Wer russische Künstler*innen, Kulturschaffende oder Intellektuelle treffen möchte, muss nicht mehr nach Moskau oder Petersburg fahren, sondern wird mittlerweile fast alle namhaften in Berlin treffen. Russland erlebt einen brain-drain an Hochqualifizierten und Intellektuellen wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Menschen und Kapital verlassen das Land. Die massive russische Intervention in Syrien, aber auch zuvor der Krieg in der Ukraine durch Russland sind allein den innenpolitischen Entwicklungen Russlands geschuldet, das erläutert Osteuropa-Experte Manfred Sapper sehr eindrücklich.

Die Zustimmungsraten zum Präsidenten Putin nach seiner Wiederwahl im Dezember 2011 waren für russische Verhältnisse fatal. Trotz Zugriff auf die Medien lagen die Werte für den russischen Präsidenten bei 42 Prozent, eine erschreckend niedrige Zahl. Mit der Annexion der Krim schnellten diese Werte auf über 80 Prozent nach oben. Damit hatte Putin sein Ziel vorerst erreicht. Die Angst vor einem Maidan in Moskau schien verbannt, die national-patriotischen Töne überwogen, die Propagandaschlacht in den Medien hatte begonnen, und die Reihen schienen sich hinter Putin wieder zu schließen.

Allerdings unterlag der Kreml sowohl bei der Annexion der Krim als auch bei der Intervention im Donbass einer Fehlkalkulation. Anders als nach dem Krieg in Georgien reagiert die EU vergleichsweise geschlossen und entschieden. Auch einzelne Länder lassen sich nicht auf ein Herunterhandeln bei den Sanktionen ein, so auch nicht Deutschland – trotz des Verweises auf die russisch-deutschen Sonderbeziehungen und trotz der gern betonten traditionell engen Wirtschaftsbeziehungen.

Selbst in der Welt der engsten Verbündeten (Weißrussland und Kasachstan) stieß das Konzept der „Russkij Mir“ (Russische Welt) auf nicht allzu viel Sympathie, lebten doch auch in diesen Ländern jede Menge russischer Einwohner*innen sowie ethnische Russ*innen auf ihrem Territorium.

Mit der Krim-Annexion hatte sich Russland de facto weltweit isoliert. Es handelt sich um einen Völkerrechtsbruch und den ersten Verstoß gegen die staatliche und vertraglich zugesicherte Integrität, die seit 1945 gegolten hat. Dieser Verstoß darf keinesfalls mit der Aufhebung der Sanktionen zum jetzigen Zeitpunkt legitimiert werden.

 

Das jetzige politische System in Russland sei durch Agonie und Repressionen in der Innenpolitik getrieben und getragen von den unterschiedlichen Geheimdiensten. Deren Ziel ist der Machterhalt. Dieser wird aber unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen, auch vor dem Hintergrund der Sanktionen in Russland, zunehmend schwieriger. Somit bestehe das Ziel des Machterhalts, auch und vor allem für die Aufhebung der Sanktionen in der EU zu werben. Die Unzufriedenheit im Land – vor allem auch in der Elite - ist erheblich. Es gibt aber kaum Ventile, in denen diese Unzufriedenheit geordnet zum Ausdruck kommen kann. Ein Indiz für Zerwürfnisse in den Führungszirkeln seien beispielsweise das Leaken über das Privatleben der Töchter Putins. Solche Geschichten waren bislang sakrosankt und können nur aus den eigenen Geheimdiensten erfolgen.

Der Beginn der Intervention in Syrien Ende September ist wiederum als Reaktion auf die innenpolitische Situation zu erklären: Aufgrund der internationalen Isolation und der ausbleibenden „Erfolge“ im Ukraine musste Russland sich eine weitere Bühne verschaffen, um sich als Akteur in der Weltpolitik Gehör zu verschaffen. Man wollte sich an der Seite von Assad als „Anti-IS“-Koalition ins Spiel bringen. Für die Aufhebung der Sanktionen in der EU Mitte Oktober hat das zwar noch nicht gereicht, aber mit den Attentaten vom 13. November in Paris schien dieses Kalkül zunächst aufzugehen. Schnell waren Frankreich und andere Staaten dabei, militärische Unterstützung für den Kampf der „Terroristen“ in Syrien zu leisten. Genauso schnell stellte sich allerdings heraus, dass die wirklichen Angriffsziele der russischen und syrischen Luftwaffen gar nicht den IS-Kämpfern galt, sondern vielmehr den von Assad definierten „Terroristen“, also vielmehr den politischen Gegnern im Inland. Somit war die gewünschte einheitliche Allianz gegen IS international nur schwer zu vermitteln, die Interessen der Russen – Assad auf jeden Fall an der Macht zu halten – und denen der anderen Akteure in Syrien – einen belastbaren Waffenstillstand – scheinen übereinzustimmen. Fest steht lediglich, dass es mit dem Eingreifen von Russland in Syrien keine Beruhigung, sondern ein Anheizen des Konfliktes gegeben hat, vor dessen Hintergrund weitere Menschen ihr Land verlassen mussten.

Die Frage nach der Türkei und der Gefahr einer Eskalation mit Erdogan wurde gestellt:

Beim Vergleich mit dem Präsidenten Erdogan in der Türkei falle auf, dass die Personen Putin und Erdogan sehr ähnlich gestrickt seien. Beide seien gezwungen, ihre innere Legitimation über außenpolitische Härte zu zeigen und ihre Position mittels eines chauvinistischen Nationalismus zu legitimieren.  Beide Machthaber dämonisierten ihre innenpolitischen Gegner als Feinde, die ausländischen Interessen dienten und die Nation schwächten. Dadurch sei die Gefahr einer Eskalation nicht von der Hand zu weisen.

Zur Entwicklung in Russland blieb zu sagen, dass die jetzige Clique extrem zynisch und ideologiefrei agiert, keine Skrupel haben wird, für den Machterhalt auch größere Destabilisierungsversuche in Europa zu wagen, der Druck auf die russische Wirtschaft zunehmen wird und die kurzfristigen Aussichten in Russland kaum politische Änderungsmöglichkeiten zulassen.

 

Die Zusammenfassung des Gesprächs mit Manfred Sapper erstellte Viola von Cramon.

 

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