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18.12.15 –
Rede von Rolf Becker, Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
zum Beschluss über den Haushalt der Stadt Göttingen 2016 im Rat am 18.12.2015
(Es gilt das gesprochene Wort)
Anrede,
Das Gedicht, das ich hier in Auszügen verlese, schrieb der Liedermacher Konstantin Wecker Anfang Dezember als Replik auf Hetztiraden des Herrn Söder:
Und wenn sie euch sagen
das Boot ist voll
wir können keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen
dann antwortet ihnen:
denkt mit dem Herzen.
Über zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene
sowie fast zwölf Millionen ehemalige Zwangsarbeiter
und ausländische KZ-Insassen
mussten nach dem Ende des Krieges eine neue Heimat finden
Die Integration der Vertriebenen in das massiv zerstörte
und verkleinerte Nachkriegsdeutschland
schien zunächst kaum lösbar.
(…)
Und wenn sie euch sagen
da kommen ja fast nur junge Männer an
und kaum Frauen mit Kindern
dann: denkt mit dem Herzen.
Würdet ihr nicht auch versuchen
im äußersten Elend
die kräftigsten eurer Familie auf die Reise zu schicken
damit sie euch vielleicht sogar eines Tages
nachholen können?
(…)
Und wenn sie euch sagen
was haben wir mit denen zu tun
die glauben doch an einen anderen Gott
die sind von einer fremden Kultur
dann:
benützt euren Verstand:
Kulturelle Reinheit ist eine Illusion.
Und die führte bei uns zu der schrecklichsten Diktatur
der Menschheitsgeschichte.
Menschen sind wichtiger als Kulturen
Denken wir mit dem Herzen.
Besiegen wir den Hass durch Zärtlichkeit.
Liebe Anwesende, hier in Göttingen denkt zum Glück eine breite Mehrheit der Bevölkerung mit dem Herzen. Ausdrücklich danken möchte ich hiermit den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern und der tatkräftigen Göttinger Stadtverwaltung! DANKE.
In der Präambel, die wir diesem Haushalt voran stellen, geht es genau um dieses: Die Zufluchtsuchenden, die nach Göttingen kommen, heißen wir als zuwanderungsfreundliche Stadt herzlich willkommen. Wir stellen in diesem Haushalt in einem Sammeltopf zunächst 250.000 Euro zur Verfügung, um unbürokratisch dort zu helfen, wo Hilfe benötigt wird. Und wir bitten die Göttingerinnen und Göttinger um Spenden, um diesen Topf gut gefüllt zu halten.
Zufluchtsuchende in Göttingen
Die aktuelle Situation mit dem starken Zuzug von Geflüchteten stellt eine Herausforderung für unseren Haushalt dar, bietet aber auch gleichzeitig einmalige Chancen.
Denn wo Wohnraum für Zufluchtsuchende fehlt, muss gebaut werden. Wo Menschen wohnen, kaufen sie auch ein. Und wo Menschen sesshaft werden, gehen sie auch arbeiten. Zufluchtsuchende aufzunehmen und unterzubringen ist somit, wie Wirtschaftsinstitute feststellen, ein echtes Konjunkturprogramm und eine Bereicherung für uns alle.
Um die Integration von Zufluchtsuchenden künftig leichter zu realisieren, sind bereits frühzeitig gezielte Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Integration notwendig. Dazu zählen der Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge, Sprach- und Integrationskurse, ein Abbau von Arbeitshemmnissen, eine Ausweitung der Einbürgerungspraxis und dringend auch ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum.
In diesen Tagen droht jedoch minderjährigen Kindern, deren Eltern als Roma aus dem Kosovo zu uns geflohen sind, die Abschiebung. Hier zeigt sich, wie verheerend sich die neue Asylgesetzgebung direkt auf Menschen, die in Göttingen geboren wurden und leben, auswirkt. Die Rückführung von Menschen in ein Land, das sie noch nie gesehen haben, wollen wir nicht hinnehmen. Menschen, die hier geboren sind, gehören hierher.
Anrede,
Mit diesem Haushalt soll Göttingen als lebendige und tolerante Stadt weiterentwickelt werden, in der unterschiedliche Milieus und Ethnien friedlich zusammen leben. Daher gestalten wir die Ausländerbehörde zur Zuwanderungsbehörde um und initiieren einen Treffpunkt für Zufluchtsuchende und Helfer in der Innenstadt.
Strategische Ziele der Stadt für 2016:
Rat und Verwaltung müssen sich selbstredend ihren regulären Aufgaben widmen, um die sozialen, ökologischen und strukturellen Bedingungen für das Leben in unserer Stadtgesellschaft weiter zu verbessern. Der Haushaltsplan 2016 hält diese Balance zwischen der Herausforderung durch Zuwanderung und den alltäglichen Aufgaben der Stadt. Dazu sind diesem Haushalt strategische Ziele vorangestellt: Es handelt sich um diejenigen Arbeitsfelder und Vorhaben, die in jedem Fall in diesem Jahr angegangen werden sollen. Diese Ziele dienen der Verwaltung zur Orientierung und als Versprechen an alle Göttingerinnen und Göttinger.
Kontinuierliche Arbeit an den Klimazielen der Stadt
Der Klimagipfel in Paris war ein Erfolg. Die Weltgemeinschaft konnte sich u. a. darauf einigen, die durchschnittliche Erwärmung unseres Planeten um mehr als 2° mit einem Bündel an Vereinbarungen und Abkommen verhindern zu wollen. Nun ist es an uns und allen Menschen jeweils vor Ort, tatkräftig daran zu arbeiten, die nötigen Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.
Göttingen hat ehrgeizige Ziele: Die Reduktion der Treibhausgase um 40 % bis 2020 und um 50% bis 2030. Aber Pläne zu entwerfen und Konzepte zu beschließen, verringert die Emission von Treibhausgasen noch nicht und macht die Luft nicht sauberer. Daher haben vor Jahren in einer auch für Göttingen einmaligen konzertierten Aktion die Stadt, die Universität, zahlreiche Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, Dienstleister und Bürgerinitiativen und nicht zuletzt der neu aufgestellte Energiedienstleister Stadtwerke ein konkretes Maßnahmenpaket zu Reduktion der CO2-Emission beschlossen, das kontinuierlich umgesetzt wird.
Auch wir als Stadt sind dabei, unsere Konzepte kontinuierlich in die Tat umsetzen. Deshalb werden wir auch mit diesem Haushalt den Umweltverbund von Fuß, Rad und Bus deutlich fördern. Wir werden Radschnellwege in Zusammenarbeit mit dem Landkreis und den Umlandgemeinden weiter planen und ausbauen und wollen jetzt die Initialprojekte des Klimaplan Verkehr starten: Schaffung der Stelle einer MobilitätsmangagerIn, Integrierte Umgestaltung einer Hauptverkehrsstraße und Modellversuch zur Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Flächennutzungsplan fertigstellen – Potenziale nutzen, Wohnraum schaffen
Der Flächennutzungsplan soll 2016 fertig gestellt werden, um die Grundlinien des städtebaulichen Leitbildes von 2012 zielgenauer umsetzen zu können.
Die Göttingerinnen und Göttinger bewerten bereits die aktuelle Wohnungsnot in Göttingen als größte Herausforderung der Stadt. Im Rahmen des Leitbildes Innen- vor Außenentwicklung sollen daher Flächen für neue Quartiersentwicklungen ausgewiesen werden. Auch aus klimapolitischen Überlegungen ist eine Stadt der kurzen Wege zu planen. Göttingen muss sich in die Lage versetzen, in den nächsten Jahren deutlich mehr sozialverträglichen Wohnungsbau realisieren zu können und das eben nicht auf der grünen Wiese. Es bedarf dazu einer umfänglichen Bereitstellung von preiswerten Flächen.
Große Potenziale sehen wir z.B. im Bereich Hannoversche Straße und Nordstadt bis zum Uni Camus Nord. Gerade in diesen Gebieten ließe sich auch eine sozial- und umweltverträgliche Ausweisung von Mischgebieten, in denen Wohnen und Arbeiten möglich ist, verwirklichen.
In Kooperation mit unseren Umlandgemeinden sind Grünzüge z.B. im Süden und in den Leine-Aue zu entwickeln, eine klimaverträgliche Mobilität z.B. über Radschnellwege und Verlängerung von GÖVB Linien in Nachbargemeinden zu organisieren.
Entwicklung der Innenstadt
Vorangetrieben werden soll die Innenstadtplanung, insbesondere was die Einfahrten/Tore betrifft, die Gestaltung der Fußgängerzonen inkl. Spielflächen für die Jüngsten, die Nachverdichtung z.B. am östlichen Groner Tor und die Quartiersentwicklung z.B. im Nikolaiviertel und im Bereich Stumpfebiel. Wir sehen in der komplexen Entwicklung am westlichen Groner Tor mit Sparkasse, Hotel und Forum Wissen einen echten Impuls für die Städtebauliche Entwicklung der Innenstadt und die touristische Präsentation der Wissenschaftsstadt und wünschen uns ähnlich qualitätsvolle Planungen für das Weender Tor.
Lokales Bürgerengagement stärken – neue Stadtteilbüros aufbauen
Leider verwehrt uns das Innenministerium flächendeckend Ortsräte zu bilden. Und diese Zugunsten von Bezirksräten auflösen, wie es das Ministerium vorschlägt, werden wir gegenwärtig nicht tun. Wir wollen jedoch bürgerschaftliches Engagement vor Ort stärken, durch neue Treffpunkte im Stadtteil. Denn: Bürgerinnen und Bürger können sich dann besser für die Entwicklung ihres Wohnumfeldes engagieren, wenn es einen Treffpunkt gibt, an dem sie Ihre Ideen zusammen tragen können.
Ich schlage vor, jetzt bereits eine Projektskizze zu erstellen. Bausteine für die flächendeckende Quartiersarbeit in Göttingen sind: Erstellung einer Förderrichtlinie, Förderung der Vernetzungsstruktur innerhalb des Stadtteils, aber auch mit Politik und Verwaltung, Schaffung einer Clearingstelle in Stadtverwaltung, Einrichtung von Stadtteiltreffs und Benennung von Akteuren der Quartiersarbeit. Einen finanziellen Ansatz zum Start haben wir dafür in den Haushalt eingestellt.
Zum Schluss noch einige Worte zu Feldern, in denen Göttingen richtig gut ist:
Weiterer Ausbau des Bildungsstandorts Göttingen
Wir werden weitere Schulen zu Ganztagsschulen umbauen und uns um den überfälligen Ausbau der Lohbergschule kümmern, die dritte IGS in Weende ist erfolgreich an den Start gegangen, unser Schulessen ist bundesweit Spitze und wir konnten durch diesen Haushalt das Projekt LISA finanziell stärken. Wir bieten eine Vollversorgung an KITA Plätzen und an Krippenplätzen mangelt es auch nicht mehr. Diese Komponenten sichern und stärken unser Ziel, Chancengerechtigkeit über gleiche Bildungsteilhabe zu fördern. Getrübt wird das positive Bild durch die Tatsache, dass das Land für die Schulen keine neuen Sozialarbeiter einstellt und leider auch dadurch, dass unsere Gymnasien nicht inklusiv beschulen.
Förderung der Kultur für ALLE Göttingerinnen und Göttinger
Die Sanierung des Otfried-Müller-Haus, welches das Junges Theater und KAZ beherbergt, ist lange überfällig. Wir sind zuversichtlich, dass wir die beantragten Bundeszuschüsse erhalten, so dass es uns ab 2016 gelingt, unter Einbeziehung des Wochenmarktplatzes das Otfried-Müller-Haus zu sanieren und auszubauen. Dieses wird damit als lebendiges Zentrum des innerstädtischen Kulturangebots eine noch größere Rolle spielen.
Wichtige Meilensteine in der Göttinger Kulturpolitik sind die bauliche Entwicklung des KuQua, das sich zu einem touristischen Magneten in der Innenstadt entwickeln soll, und die Förderung des von der Universität geplanten Forums des Wissens, das die historische und aktuelle Bedeutung der Georg-August-Universität als einer Stätte der Aufklärung nach außen tragen wird.
Vordringliche Entwicklungsaufgaben im Kulturbereich für 2016 sind zudem die inhaltliche Neukonzeption des Städtischen Museums mit einem modernen Präsentationskonzept, sowie die Erstellung eines Konzepts für die Modernisierung der Stadthalle mit ihrem Umfeld.
Anrede,
Göttingen hat sich in mehr als zehn Jahren gemeinsamer Grün-Roter Haushaltszusammenarbeit deutlich positiv entwickelt. Und mit diesem Haushalt beschließen wir weitere Verbesserungen und das nicht nur trotz, sondern auch wegen der vielen bei uns Zuflucht suchenden Menschen. Wir begrüßen diese von Herzen und sind überzeugt, dass sie auch ökonomisch langfristig zur gedeihlichen Entwicklung unserer Stadt beitragen.
Vielen Dank
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