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01.07.20 –
Einleitung
Die Mieten in Göttingen steigen seit Jahren ebenso an wie die Bevölkerungsanzahl (1). Insbesondere Mieter*innen mit geringerem Einkommen haben es zunehmend schwer, sich auf dem Markt mit Wohnraum zu versorgen. Ein aktueller Überblick über die Angebotsmieten für Wohnungen und WG-Zimmer lässt sich unter (2) finden. Das 2018 von der Stadtpolitik verabschiedete "Kommunale Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in Göttingen" (3) enthält einige gute Ansätze und Absichten, in ihm fehlen aber wichtige Punkte, die der formulierten Zielerreichung dienen würden. Ausführliche und unserer Meinung nach berechtigte Kritik am Handlungskonzept wurde bereits an anderer Stelle geübt (4). Unter anderem wird dargelegt, warum die im Handlungskonzept erhalten Ansätze zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mit Schlupflöchern behaftet und generell nicht ausreichend sind, um den Bedarf an bezahlbaren Wohnungen zu decken. Für eine sehr umfassende Analyse des Göttinger Wohnungsmarkts und der (städtischen) Wohnraumpolitik sei auf (5) verwiesen. Es gibt jedoch noch weitere Kritikpunkte an der städtischen Wohnungspolitik, auf die wir im Folgenden eingehen möchte. Ebenso möchten wir positive Aspekte benennen und Richtlinien für die Zukunft vorschlagen.
Was enthält das kommunale Handlungskonzept an guten Maßnahmen?
Erst einmal ist es positiv zu bewerten, dass die Stadtverwaltung und die Stadtpolitik sich mit dem Thema bezahlbarer Wohnraum beschäftigen und Geld in die Hand nehmen, um etwas für die adäquate Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu tun. Unter die finanziell aufwendigen Maßnahmen fällt der Ankauf und die Verlängerung von Belegungsbindungen. Es ist außerdem zu begrüßen, dass gewisse Bauvorhaben eine Quote an bezahlbaren Wohnraum aufweisen müssen, auch wenn die Schlupflöcher groß sind und die Bezahlbarkeit nur für eine gewisse Dauer gewährleistet werden muss (wie in den oben verlinkten Kritiken ausführlich beschrieben). Zudem sollen Grundstücke lobenswerterweise zukünftig vermehrt (was auch immer das genau heißt) per Konzeptvergabe vergeben werden, d.h, dass neben dem Kaufpreis für das Grundstück auch andere Gründe wie der Anteil an günstigen Wohnungen und die Bauweise des zu erstellenden Gebäudes bei der Vergabe berücksichtigt werden. Zwei Lichtblicke sind zudem die bei der Stadt eingerichtete (halbe) Stelle der sogenannten Wohnraumagentur, die Strategien zur optimierten Wohnflächennutzung entwickeln soll und die (halbe) Stelle zur Durchsetzung der Zweckentfremdungssatzung und zur Unterstützung von Konzeptvergaben. Die gute Idee hinter beiden Stellen ist die Nutzung von Bestand bzw. eine Verringerung des Bedarfs an Wohnfläche.
Was fehlt in der städtischen Wohnungspolitik?
Keine der bisher aufgeführten Maßnahmen zur Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum geht ein Grundproblem der heutigen Misere an: Der Stadt gehören zu wenige Flächen und Liegenschaften, sie hat somit zu wenig Verfügungsgewalt darüber, was mit diesen Flächen und Liegenschaften passiert. Im Idealfall betreibt die Stadt eine aktive Bodenvorratspolitik, z.B. finanziert durch einen dafür eingerichteten kommunalen Bodenfonds. So eine Bodenvorratspolitik beinhaltet den Aufkauf von Gebäuden und Grundstücken, unterstützt durch eine aktive Suche und Ansprache von Eigentümer*innen, sowie die Schaffung und Ausübung von Vorkaufsrechten. All das fehlt bisher.
Über Konzeptvergaben, Vorgaben für den Anteil an bezahlbaren Wohnungen und damit verbundenen Verträge kann die Stadt auf den Wohnungsmarkt einwirken. Schlecht ist jedoch, wenn sie dabei wenig ihrer Macht einsetzt und es zum Beispiel zulässt, dass Grundstücke verkauft werden und nach Ablauf von zeitlichen Fristen die Bezahlbarkeit von Wohnungen nur noch dem Markt bzw. den (privaten) Wohnungseigentümer*innen obliegt. Im Idealfall hingegen liegt die Verfügungsgewalt dauerhaft in den Händen der Stadt oder der Menschen, die in den Wohnungen leben. Das gewährleisten die Städtische Wohnungsbau als kommunale Wohnungsgesellschaft und genossenschaftliche Modelle. Es ist zu begrüßen, dass die Städtische Wohnungsbaugesellschaft mit Hilfe von städtischen Geldern weiter bezuschusst und ausgebaut werden soll. Bei den richtigen Auflagen können auch private Wohnungsgesellschaften ihren Beitrag leisten, dafür braucht es harte Bedingungen der Stadt (z.B. umsetzbar durch eine Konzeptvergabe oder städtebauliche Verträge) und das Nutzen der verfügbaren Instrumente.
Zudem wird sich zu stark auf den Neubau von Wohnungen im Allgemeinen konzentriert, wobei es in Göttingen insbesondere an günstigem Wohnraum mangelt. Ein bisher etwas unbeleuchteter Punkt, der uns am Handlungskonzept stört: Zur Sicherung von bezahlbaren Wohnraum enthält das Handlungskonzept nur zwei Ansätze. Ausdrücklich genannt wird zum einen die Verlängerung von Belegungsrechten, d.h., dass die Stadt Wohnungseigentümer*innen dafür bezahlt, dass sie Wohnungen für einen gewissen Zeitraum zu einem bestimmten günstigen Preis vermietet. Der andere, nicht ausdrücklich genannte Ansatz ist die Idee, dass der Wohnungsmarkt und die Mieten sich durch Schaffung von neuem Wohnraum selbst regulieren: Wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, sollte der Preis sinken, das ist die einfache Logik. Dieser Ansatz ist sehr kritisch zu sehen und würde (wenn überhaupt) langfristig wirken, denn der Wohnungsbau benötigt Zeit. Zudem bräuchte es so viele Wohnungen, dass vermehrt Leerstand entsteht und so die Eigentümer*innen irgendwann wirklich gezwungen sind, ihre Wohnungen günstiger zu vermieten, weil die leerstehenden Wohnungen sonst weiterhin leer stehen oder Menschen die Wohnungen wechseln, da die Mieten in den leerstehenden Wohnungen günstiger sind. Eine solche Entwicklung ist aber bei Weitem nicht abzusehen, zumal in Göttingen das Bauland begrenzt ist.
Insgesamt wird die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum also ungenügend mit Maßnahmen begleitet, obwohl sie ganz prominent im Titel des Handlungskonzepts als Ziel genannt wird. Die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum bedeutet ja schließlich, dass Mieter*innen in ihren bestehenden Mietverhältnissen vor Mieterhöhungen geschützt werden. Davon ist in der städtischen Wohnungspolitik wenig zu sehen. Die Kappungsgrenzen-Verordnung in Niedersachsen besagt, dass innerhalb von 3 Jahren die Miete in einem bestehenden Mietverhältnis in Göttingen um maximal 15% bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhrt werden darf. Ist eine Miete also schon so hoch oder höher als die ortsübliche Vergleichsmiete, darf sie nicht mehr erhöht werden, es sei denn nach Modernisierung. Da es in Göttingen aber keinen qualifizierten Mietspiegel gibt, gibt es keine verlässliche (und juristisch sichere) Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete, sodass dieser Teil der Kappungsgrenzen-Verordnung für die Mieter*innen in Göttingen praktisch nicht angewendet werden kann. Ebenso begrenzt die Mietpreisbremse die Miete bei Neuvermietungen (wieder mit Ausnahmen) auf 110% der ortsüblichen Vergleichsmiete. Auch hier haben die Mieter*innen in Göttingen aufgrund des fehlenden qualifizierten Mietspiegels kaum eine Möglichkeit, ihre Rechte durchzusetzen.
Ein weiteres Instrument zum weiträumigen Schutz von Mieter*innen ist die sogenannte Milieuschutzsatzung. Diese Form der Erhaltungssatzung kann der Verdrängung von Mieter*innen entgegenwirken und zur Erhaltung sozial durchmischter Quartiere beitragen. In mit solch einer Satzung belegten Gebieten können die Ausstattungsstandards bei Modernisierungen begrenzt werden, um „Luxusmodernisierungen“ entgegenzuwirken, sowie die Veränderung von Grundrissen untersagt werden. Auch die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen unterliegt in Milieuschutzgebieten der Zustimmung der Stadt. Gleichzeitig erhält die Stadt ein Vorkaufsrecht für Liegenschaften in diesen Gebieten. Die Voraussetzung zum Erlass so einer Satzung sind sicher nicht überall in Göttingen erfüllt. Der entsprechende Prüfungsprozess ist genauso aufwendig wie die Bewältigung der Bürokratie in einem Milieuschutzgebiet, die die zunehmende Gestaltungsmacht der Stadt in so einem Gebiet mit sich bringt. Aber: Die Stadt hätte wieder mehr Einfluss. Alleine ein Vorkaufsrecht bietet die Möglichkeit, Wohnungsgesellschaften Vorgaben zu machen mit der Drohung, bei Nichtunterzeichnung eines entsprechenden Vertrags selbst die Liegenschaft zu kaufen. Es fehlt eine ernsthafte Prüfung der Milieuschutzsatzung bisher in der Stadtpolitik, nur in einem Teil von Grone stand sie bisher kurz zur Diskussion. Ebenso könnte die Stadt durch städtebauliche Erhaltungssatzungen (wie in einem Teil des Ostviertels angewendet) mehr Gestaltungshoheit und Vorkaufsrechte erlangen.
Wie könnte eine ökologische städtische Wohnungspolitik aussehen, die sich wirksam für bezahlbaren Wohnraum einsetzt?
Die Wohnungspolitk der Stadt Göttingen sollte sich noch stärker als bisher auf den Erhalt und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ausrichten. Neben der oben angesprochenen ernsthaften Prüfung eines Mietspiegels und von Erhaltungssatzungen sollte eine deutliche Zunahme von gemeinwohlorientiertem Immobilienbesitz (kommunal, genossenschaftlich und gemeinwohlorientierte Privatinitiativen) angestrebt werden. Gleichzeitig sollte die Förderung der Stadt Göttingen stärker auf suffiziente und flächenschonende Ansätze ausgerichtet werden, d.h. insbesondere, dass Wohnungen und Wohnformen gefördert werden, bei denen die Bewohner*innen mit wenig Wohnraum pro Person auskommen und möglichst wenig neue Fläche versiegelt werden muss. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern in der Regel auch günstiger.
Bebaut werden sollten vornehmlich bestehende Flächen und dabei auch innovative Ansätze geprüft werden, z.B. die Überbauung von Parkplätzen, Bebauung von Parkhäusern, Umwandlung von Industrie- zu Mischgebieten aus Wohnen und Industrie). Die Ausweisung von Flächen und Baugenehmigungen sowie bisherige und zukünftige Bebauungspläne sollten neu gedacht und an Suffizienzkriterien gekoppelt werden. Das sollte für Industrie, Handel und Wohnen gleichermaßen gelten. Ein Beispiel: Zwei Drittel aller Wohngebäude in Göttingen sind Einfamilienhäuser. In den aktuellen Bebauungsplänen wird mehr Fläche für Einfamilienhäuser als für andere Wohnformen ausgewiesen. Das kann nicht sein, wenn bezahlbarer (und ökologisch weniger schädlicher) Wohnungsbau das Ziel einer Stadt ist. Zur Erreichung der Ziele müssten generell die im städtischen Haushalt eingeplanten Gelder zur Wohnraumbeschaffung umgeleitet werden, sodass es ausschließlich für ökologisches und suffizientes Bauen, Aus- und Umbauten bei bestehenden privaten und öffentlichen Wohngebäuden eine städtische Förderung gibt. Nur so hat übrigens auch die Wohnraumagentur bei der Stadt Möglichkeiten, ihre Ideen umzusetzen.
Zusätzlich braucht es eine kontinuierliche Abstimmung und Koordination im Sinne einer solidarischen Kooperation in den Bereichen Siedlungsentwicklung und Mobilität zwischen der Stadt Göttingen und der Region. Das beinhaltet die Schaffung eines regionsbezogenen Beratungsangebotes, das Wohnangebote in der gesamten Region darstellt. Die Zeiten, in denen eine Stadt für sich denkt und jede umliegende Gemeinde dies ebenso tut, sollten angesichts der Wohnungsknappheit in den Städten und Leerstand in ländlichen Gebieten sowie deutlichen Klimawandelanzeichen vorbei sein.
Außerdem braucht es gleichzeitig Zwang und Überzeugungsarbeit, damit bestehender Wohnraum genutzt oder vermehrt genutzt wird. Das beinhaltet eine strikte Anwendung des Wohnraumzweckentfremdungsgesetzes, evtl. eine direkte Ansprache des Oberbürgermeisters an Eigentümer*innen leerstehender Häuser, eine Informationskampagne mit dem Gedanken "Stellen Sie Wohnraum zur Verfügung" und Informationsangebote (und evtl. Fördermittel) zum Wohnungsumbau (bauliche Trennung, "aus 1 mach 2"). Auch benötigt es eine konsequente Unterstützung der Wohnraumagentur, damit diese Kapazitäten hat Ideen zu entwickeln und umzusetzen sowie bereits bestehende innovativer Ansätze wie "Wohnen für Hilfe", damit günstige und flächensparende Lösungen der Wohnraumproblematik erreicht werden.
Einige Forderungen lassen sich günstig oder sogar kostenlos umsetzen, andere kosten (zumindest in der kurzen Frist) mehr Geld. Wohnen ist jedoch ein Grundrecht und Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge und braucht deshalb politische Unterstützung.
Fußnoten / Quellen:
(1) s. Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Wohnungsbau vom 13.08.2019: app.box.com/s/42wmjn24f1l6zkip2g6vz3muhzf22bvn und
https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2019/12/04/mietpreisentwicklung-2019/
(2) github.com/peterpuetz2020/angebotsmieten_goettingen_2019_2020/blob/master/Mieten_2019_2020.pdf
(3)
https://www.goettingen.de/pics/medien/1_1520927738/Kommunales_Handlungskonzept_zur_Schaffung_und_Sicherung_von_bezahlbarem_Wohnraum_in_Goettingen.pdf(4) https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2018/03/22/kommunales-handlungskonzept-fuer-bezahlbaren-wohnraum-kann-nur-ein-erster-schritt-sein/ und https://stadtentwicklunggoettingen.files.wordpress.com/2020/01/hdvf-kommentar-handlungskonzept-oktober-2019-00000002.pdf
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