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"Und Tschüss ..." - ein Brief von Jürgen

Jürgen Trittin legt sein Mandat nieder

13.12.23 –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich werde im Januar mein Mandat im Bundestag niederlegen.

Ein guter Grund

Warum höre ich in der Mitte der Legislaturperiode auf?

Für einen politischen Menschen gibt es keinen richtig guten Zeitpunkt aufzuhören.

Irgendwas ist immer, wo wir meinen gebraucht zu werden, wo wir nicht stillsitzen können und zuschauen. Ihr habt selbst gesehen, was mich in den letzten Wochen angetrieben hat - vom Terror der Hamas und dem Krieg im Gaza bis zur Klimaaußenpolitikstrategie, von der Schwimmhalle Adelebsen bis zur Sanierung des Deutschen Theaters. Und zum Schluss das Aus für das Atommüllzwischenlager in Würgassen.

Doch wir reden nicht vom Ende der Politik, sondern vom Ende meines Mandats.

25 Jahre

Klar war für mich schon vor der Wahl, dass ich nicht wieder kandidieren würde. Das habe ich auch so angekündigt. Ich habe die Entscheidung, zur Mitte der Legislaturperiode aufzuhören, im Sommer getroffen. Die einzigen, die ich vor einigen Monaten davon unterrichtet habe, waren meine Fraktionsvorsitzenden.

Im Sommer wurde mir klar, dass ich am 27. September 25 Jahre Abgeordneter im Deutschen Bundestag werden würde.

Ich finde, 25 Jahre für den Wahlkreis Göttingen im Bundestag sind ein guter Grund.

Vor fast 40 Jahren, wurde ich zum ersten Mal Parlamentarier. Es wären genau 40 geworden, hätte damals die CDU nicht die Zwei Jahres Rotation der Grünen blockiert. So wurde ich erst per Staatsgerichtshofs Urteil 1985 Abgeordneter im Landtag zu Hannover.

War schön mit Euch

Ich gehe in Gelassenheit und Dankbarkeit. Ich habe unserer Partei und dieser Fraktion viel zu verdanken. Ich konnte in meinen politischen Leben vieles tun, was ich vorher nicht geglaubt habe.

  • Ich habe in diesen fast 40 Jahren meine Universitätsstadt Göttingen und seinen Landkreis, später weite Teile Südniedersachsens von Werra und Fulda bis zum Mittellandkanal, vom Harz bis zu Solling und Deister vertreten dürfen.
  • Ich wurde 1990 Bundes- und Europaminister der ersten rot-grünen Landeskoalition, die vier Jahre gehalten hat. Ich war wegen des Scheiterns der West-Grünen an der 5 % Hürde zeitweilig der einzige von ihnen, der im Deutschen Bundestag reden konnte - auch gegen den Asylkompromiss von 1993.
  • Ich war Parteivorsitzender der Grünen, als wir 1998 16 Jahre Helmut Kohl beendeten, und wurde ihr erster Bundesumweltminister.
  • Ich durfte zweimal die Grünen als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen - einmal mit Renate, einmal mit Katrin. Wir erzielten 2009 das lange beste Ergebnis aller Zeiten, und ich erlitt 2013 eine bittere Niederlage.

Für all das sage ich Danke.

Demokratische Verantwortung

Deutschland, Europa und die Welt leben in aktuell in einem permanenten Krisenmodus. Aber es zeigt sich, trotz allen Gegenwinds und täglicher rechter Kampagnen erweisen sich die Grünen als krisenfest. Wir müssen uns nicht verstecken. Wir haben im Bundestag die weiblichste, jüngste Fraktion mit den meisten Neuen. Und doch beweisen wir uns als regierungsfähiger als manche unserer Koalitionspartner.

Zu dieser Regierungsfähigkeit sollten wir selbstbewusst stehen.

Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Ja, es gibt Auseinandersetzungen um die Standorte von Windturbinen und Fotovoltaikpanels. Aber wenn heute in Indien, in China, in den USA Erneuerbare Energien schneller wachsen als alle anderen Energien, dann hat das seine Grundlage in der von uns Grünen in Deutschland durchgesetzten Energiewende.

Und wenn wir bis heute mehr Kohlekapazität stillgelegt haben, als Atomkraftwerke, dann war es das EEG. Und wenn das letzte Kohlekraftwerk vor 2030 vom Netz geht, dann war es der von uns gegen Schröder durchgesetzte Emissionshandel.

Grün an der Regierung wirkt. Transformation wirkt langsam - aber nachhaltig.

Deshalb war es wichtig, nach 16 Jahren endlich wieder Verantwortung zu übernehmen. Annalena, Robert, Steffi, Lisa, Cem und Claudia haben nicht nur Krisen wie Russlands Krieg gegen die Ukraine vorbildlich gemanagt und begonnen, das Erbe von 16 Jahren Merkel aufzuarbeiten.

Grün verändert dieses Land. 170 Gesetze in zwei Jahren zeugen davon.

Das gilt national wie europäisch. Ohne uns kein Verbrenner-Aus und kein Restore Nature, ohne uns keine Wiederbelebung der Wind- und Fotovoltaikindustrie. Ohne uns kein Klimaschutz im Gebäudebereich und kein Programm für Natürlichen Klimaschutz.

Ohne uns gäbe es nicht die erste nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands, kein Ende der China-Naivität und keine globale Klimaaußenpolitikstrategie samt Energie- und Wasserstoffpartnerschaften.

Und obwohl die FDP mit dabei ist, haben wir die eigenen Fehler aus der Zeit von Rot-Grün korrigiert - mit dem höheren Mindestlohn und der Reform des Bürgergelds wie der Kindergrundsicherung.

Manche beschreiben die Ampel als nicht handlungsfähig. Es sind die gleichen, die sich beschweren, wir würden zu viel verändern. Für uns Grüne kann ich zur Halbzeit sagen:

Wir sind handlungsfähig und bleiben handlungswillig.

Das alles ist umstritten. Das alles wird versucht zurückzudrehen. Für alles müssen wir kämpfen. Bei allem erleiden wir bittere Niederlagen - wie jüngst beim Straßenverkehrsgesetz. Es ist bitter, dass ausgerechnet die Länder mehr Selbstbestimmung von Städten und Gemeinden in der Verkehrspolitik verhindern.

Aber wenn es einfach wäre, bräuchte es uns nicht.

Deshalb liegt Bernd Ulrich komplett falsch, wenn er uns in der Zeit empfiehlt, diese Koalition zu verlassen. Das wäre verantwortungslos. Nicht nur, weil es unsere Transformationserfolge vom GEG bis zum Bürgergeld gefährdete.

Es würde den Rechtsruck in unserer Gesellschaft beschleunigen.

Von den USA bis zu unseren europäischen Nachbarn erleben wir zutiefst gespaltene Gesellschaften, in denen faschistische Parteien und Bewegungen immer stärker werden. Seht in die USA, blickt nach Spanien, erlebt die Niederlande.

Deutschland gilt heute als Anker demokratischer Stabilität in Europa und der Welt.

Das ist in Gefahr.

Schaut auf die neue Habsburger Front gegen Windenergie in Thüringen - wo CDU und FDP wieder mal mit der Höcke-AfD gemeinsame Sache machen.

Deutschlands demokratische Stabilität beruht auf der Fähigkeit und Bereitschaft seiner Demokraten zur Linken und zur Rechten über die Lager hinweg Konsense zu finden - ja Koalitionen zu bilden.

Keine Koalition ist einfach. Weder Grün-Schwarz im Ländle noch Rot-Grün in Niedersachsen. Aber Koalitionen wie in Sachsen und Brandenburg sind besonders herausfordernd. Wir stellen uns dem aus einem einfachen Grund.

Wenn Demokraten nicht zusammenstehen, kommen Anti-Demokraten an die Macht.

Das ist unsere historische Lehre, festgeschrieben im Grundgesetz.

Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder.

Diese Botschaft ist in Gefahr. Wenn die demokratischen Institutionen unter Druck geraten - wo verteidigen wir sie besser?

In den Institutionen oder hilflos auf den Oppositionsbänken?

Die nächsten Zeiten werden knüppelhart. Aber wir Grünen werden sie durchstehen.

Oder um eine aktuelle Kampagne zu zitieren: Liebe Bild - Macht Euch keine Hoffnungen. Grün bleibt Grün.

An uns wird diese Regierung nicht scheitern.

Wie gesagt, es gibt keinen richtig guten Zeitpunkt, sein Mandat niederzulegen. Aber zur Mitte der Legislatur ist es nach 25 Jahren vertretbar. Ich kann gehen, weil ich weiß, dass ich mich auf Euch verlassen kann - in Göttingen und Südniedersachsen, in der Bundestagsfraktion, in der Bundesregierung.

Danke für alles. Und Tschüss.

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