GRÜNE stimmen für Entschuldungshilfeprogramm

Rede von Michael Höfer, Mitglied der Ratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Vorsitzender des Ausschss für Finanzen, Wirtschaft und Grundstücke anlässlich der Abstimmung am 26.4.2012 im Rat.

27.04.12 –

Pressemitteilung

GRÜNE stimmen für Teilnahme Göttingens am Entschuldungshilfeprogramm des Landes

 

Rede von Michael Höfer, Mitglied der Ratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Vorsitzender des Ausschss für Finanzen, Wirtschaft und Grundstücke anlässlich der Abstimmung am 26.4.2012 im Rat.

Der Text entspricht der vorbereiteten Rede. Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

wie bereits am letzten Donnerstag im Finanzausschuss wird unsere Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN dem vorliegenden Entwurf der Verwaltung des Entschuldungshilfeprogramms heute zustimmen.

Bei allen auch bei uns kontrovers geführten Diskussionen über die Einzelmaßnahmen des Paketes sind wir uns in einem Punkt immer absolut einig gewesen: Wir sind schlicht der Auffassung, dass uns die durch ein strukturelles Defizit verursachte jährliche Neuverschuldung über den Kopf wächst, mögliche Zinssteigerungen bei rund 170 Mio. € Liquiditätskrediten eine erhebliche Gefahr für zukünftige Haushalte darstellen, und uns die Investitionsfähigkeit verloren gehen wird, wenn wir als Stadt nicht sehr bald Gegenmaßnahmen ergreifen. Wenn wir diesem Vertrag heute unsere Zustimmung verweigern, wie es die GöLinke und die Piraten fordern, dann werden wir dieselbe Diskussion hier spätestens dann führen müssen, wenn uns das Land ganz offiziell mitteilt, dass unser Haushalt nicht mehr genehmigungsfähig ist. Und die Auflagen eines erneuten Haushalts¬konsolidierungs¬konzepts werden nicht weniger hart sein als die Kürzungen, die wir uns heute durch die Zustimmung zu dieser Entschuldungshilfe selbst auferlegen. Mit einem großen Unterschied: Ohne die Entschuldungshilfe wären unsere Schulden dann mehr als doppelt so hoch und wir müssten mehr als doppelt so viel Geld für Zinsen und Tilgung an die Banken zahlen. Und vor diese Alternative gestellt wäre die Stadt Göttingen schlecht beraten, die Chance, auf diese Weise einen Großteil ihrer Schulden loszuwerden, nicht zu nutzen!

Ich weiß, ich werde dafür politisch Prügel einstecken und eigentlich darf ich es gar nicht laut sagen, aber wir sind als Fraktion der Auffassung, dass wir als Stadt auf diese Weise sogar vergleichsweise günstig davon kommen. Andere Kommunen mussten 25% ihres Personals einsparen (Northeim) oder Theater und Freibäder ganz schließen. Als diese Debatte vor einem Jahr ihren Anfang nahm hat doch niemand es für möglich gehalten, dass wir die vom Land geforderten Einsparungen und Mehreinnahmen – damals war noch von acht Millionen die Rede – zusammen bekommen, ohne dass nicht mindestens eine große Kultureinrichtung schließen muss, wenn nicht sogar mehrere. Heute ist klar: Wir werden an mehreren Stellen Einschnitte vornehmen müssen. Aber eine Kahlschlagpolitik sieht wirklich anders aus und angesichts der hier vorgeschlagenen Maßnahmen vom Untergang der sozialen und kulturellen Vielfalt und vom Verlust der Substanz und des Charakters dieser Stadt zu reden, ist schlicht Unsinn. Wir sollten nicht vergessen, dass es uns in Göttingen immer noch vergleichsweise gut geht – im landes- und bundesweiten Vergleich und erst recht wenn wir nach Spanien, Italien oder Griechenland schauen. Und: Wer mit dem Zugriff des Finanzkapitals und von Banken auf unsere unmittelbaren Lebensverhältnisse brechen will, der darf sich bei diesen nicht ausweglos und auf lange Sicht verschulden. Die Gegner des EHP wollen aber offenbar genau diese Abhängigkeit perpetuieren.

In einem Punkt haben die Kritiker unserer Politik Recht: Es reicht nicht, nur dem Entschuldungshilfeprogramm zuzustimmen und dann die Hände in den Schoß legen. Wir müssen gleichzeitig darauf hinwirken, dass die Regierungen in Bund und Land endlich Gesetze machen, die eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen und ihre Mitwirkung bei finanzpolitisch relevanten Gesetzgebungsverfahren garantieren. Der Niedersächsische Städtetag hat dazu im Jahr 2010 einen Forderungskatalog aufgestellt, mit dem wir uns hier im Rat einstimmig solidarisch erklärt haben. Die Regierungen von CDU und FDP in Berlin und Hannover haben bis heute keine einzige dieser Forderungen auch nur annähernd umgesetzt, keine einzige.

Die von meiner eigenen Partei erarbeiteten Modelle zu einer realistischen Veränderung der Steuergesetzgebung des Bundes gehen in eine ähnliche Richtung wie die Denkschrift des Städtetags. Eine Modellrechnung kommt zu dem Ergebnis, dass das Land Niedersachsen durch die geforderten Maßnahmen um rund 800 Mio. € entlastet würde, die Nds. Kommunen bekämen rund 200 Mio. zusätzlich. Das würde für die Stadt Göttingen Mehreinnahmen ungefähr in Höhe von 2,5 Mio. € jährlich bedeuten. In dieser Modellrechnung ist übrigens eine Erhöhung der Einkommenssteuer von derzeit 42 auf 49 Prozent bereits enthalten. Diese Rechnung zeigt jedoch deutlich, dass das nicht reichen kann. Das derzeitige strukturelle Defizit der Stadt beträgt nämlich nicht 2,5 sondern rund 10 Millionen €!  Und Göttingen ist sogar noch eine der Städte, denen es nach Auskunft unseres Kämmerers durch die z.Z. stark sprudelnden Gewerbesteuer-einnahmen finanziell vergleichsweise erstaunlich gut geht. Umso rätselhafter ist mir, welche Hebel die GÖLinken in Bewegung setzen wollen, wenn sie ernsthaft meinen, nur auf diese Weise für eine langfristige Haushaltskonsolidierung sorgen zu können. Wir halten dies für Populismus und da unterscheidet sich der politische Ansatz der GRÜNEN tatsächlich grundlegend von dem der GöLINKEN. Denn wir halten beides für notwendig:

Erstens: Wir müssen das Unsrige tun, um unseren Haushalt zu entschulden, indem wir heute die angebotene Entschuldungshilfe des Landes annehmen. Und zweitens: Wir müssen den politischen Druck auf die Regierungen in Bund und Land erhöhen. Die Gelegenheit ist günstig, denn im Januar 2013 ist Landtagswahl und im Herbst 2013 Bundestagswahl. Genau aus diesem Grunde werden wir in der Ratssitzung am 11. Mai einen Antrag stellen, der das Ziel hat, die Kräfte zu bündeln, die kreativen Potenziale dieser Stadt zu mobilisieren, Aktionen zu entwickeln und aufzubegehren, und gemeinsam Druck zu machen in Hannover und in Berlin. Gemeinsam heißt: Politik, Verwaltung und BürgerInnen zusammen und nach Möglichkeit Hand in Hand mit anderen ebenfalls in Schulden ertrinkenden Kommunen. Und Aktionen heißt, dass es eine neue Form „kommunalen Ungehorsams“ gegen die strukturelle Ausblutung der Städte und Gemeinden geben muss. Das ist eine Zukunftsaufgabe, die wir dringend angehen wollen.

Wir wollen, dass die kommunale Selbstverwaltung in Göttingen politisch handlungsfähig bleibt. Wir wollen auch weiterhin innovative und zukunftsfähige Politik machen, Bildung fördern, den Ausbau von Krippen und KiTas voranbringen, Gesamtschulen einrichten, Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden sicherstellen, unseren Integrationsplan und unser Klimaschutzkonzept umsetzen, den Verkehr in neue Bahnen lenken, das Fahrrad und den ÖPNV fördern, gute und ausreichende Sport- und Freizeitangebote erhalten … und all diese für die Zukunft der Stadt wichtigen Felder sind im vorliegenden EHP eben nicht gnadenlos zusammengestrichen worden.

Dieser Antrag aus Entschuldungshilfe der Stadt Göttingen wird nun von einer Kommission geprüft werden, in der nicht nur das Land sitzt, sondern auch Kommunen, die in den kommenden Jahren die Entschuldung der Stadt Göttingen mit finanzieren werden und von denen viele eine deutlich geringere Quote sog. freiwilliger Leistungen haben als wir. Was diese Kommission von unserem EHP hält, wird sich bald zeigen. Das heißt, richtig spannend wird es erst nach dem heutigen Beschluss bis zur endgültigen Entscheidung voraussichtlich am 06.6.2012. Den ersten Schritt machen wir heute – und er ist richtig!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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