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15.09.17 –
Rede zur Einbringung des Antrags "Seenotrettung ist kein Verbrechen"
(Es gilt das gesprochene Wort)
Meine Damen und Herren, Herr Oberbürgermeister, liebe Presse, liebes Publikum,
Sie alle kennen das Bild des kleinen Aylan, das 2015 um die Welt ging. Zur Erinnerung: Das Foto zeigt einen kleinen toten Jungen am Strand liegend, rotes Shirt und blaue Hose, das Gesicht wird von Wasser verblasst. Wir hatten überlegt, dieses Bild hier zu zeigen. Aber das stieß - verständlicherweise - auf Ablehnung bei der Verwaltung. Wer mag sich schon ein Foto eines ertrunkenen Kindes ansehen? Es entsetzt, und es macht betroffen.
2015 herrschte große Betroffenheit. Nie wieder sollte es solche Bilder geben. Denn nie wieder sollten Menschen, die auf Grund von Krieg, Terror, Unterdrückung oder weil es schlicht nicht das Nötigste zum Leben gibt, im Mittelmeer ertrinken müssen. Wir wollten das verhindern.
Inzwischen ist das Foto mehr als zwei Jahre alt, die Erinnerung daran verblasst in den Köpfen der Menschen. Damals hat uns die Erkenntnis erschüttert, dass im Meer reale Menschen sterben. Unschuldige Kinder, ein kleiner Junge mit großen Hoffnungen, der noch ganz am Anfang seines Lebens stand.
Jetzt ist 2017 und Wahlkampf.
Da stören Bilder, die die Wirklichkeit dokumentieren und das unermessliche Leid im Mittelmeer zeigen. Wir wollen das nicht sehen und tuen so, als ob es nicht geben würde, was wir nicht sehen wollen. Jetzt brauchen wir sichere Grenzen, Auffanglager in Libyen, eine Abschottungspolitik sondergleichen. Wie die CDU sagt, für "ein Land, in dem wir gut und gerne Leben".
Was für ein blanker Zynismus.
Deutschland first!
Und im Mittelmeer wird weiter gestorben.
Ausverkauf der europäischen Werte, der christlichen Werte, liebe CDU, aus Angst vor dem Wahlverhalten des unzufriedenen Mobs. Wohlfühlen in Deutschland, Sterben im Mittelmeer.
Es gibt Menschen, die das verhindern wollen, die aufbrechen, um zu Helfen. Die auf ein Gehalt verzichten und sich selbst in Gefahr bringen, um Menschen wie den kleinen Aylan vor dem Ertrinken zu retten. In meinen Augen, in den Augen meiner Fraktion, unser GRÜNEN Bundestagsfraktion und in den Augen der anderen Antragssteller*innen dieser Resolution sind das Helden. Wir sollten ihren Mut und ihren Einsatz für Mitmenschlichkeit ausdrücklich würdigen und sie in der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgabe unterstützen. Meine, unsere Anerkennung haben diese Helden. Aber nicht alle sehen das so.
Den NGOs, die im Mittelmeer Menschenleben retteten, wurde vorgeworfen, die Arbeit der Schleuser zu unterstützen. Sie werden kriminalisiert, ihre wertvolle Arbeit blockiert. Wir sagen: Seenotrettung ist kein Verbrechen!
Das Recht auf Leben ist ein fundamentales Menschenrecht. Die NGOs auf dem Mittelmeer helfen dort, wo die europäischen Staaten sich nicht zum Schutz von Menschenleben durchringen können. Mit der Behinderung dieser Organisationen wird Völkerrecht gebrochen und die Werte der Europäischen Union missachtet. Die Bundesregierung weiß von der dramatischen Lage und dem täglichen Sterben auf dem Mittelmeer und nimmt es billigend in Kauf.
Wir stellen uns dagegen.
Wir setzen uns für die Entkriminalisierung der Seenotrettung und die wertschätzende Unterstützung der Seenotrettungs-NGOs ein.
Wir setzen uns dafür ein, das nicht die Flüchtenden, sondern die Fluchtursachen bekämpft werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass es legale Wege für Geflüchtete in die EU gibt.
Und wir setzen uns als Göttingerinnen und Göttinger dafür ein, dass sofort 50 Geflüchtete aus überfüllten Auffanglagern zu uns kommen.
Göttingen hat die nötige Infrastruktur und eine offene Willkommenskultur.
Hierzu lautete unser ursprünglicher Antragstext: "Die Stadt Göttingen nimmt sofort 50 relocation-Flüchtlinge aus den überfüllten Auffanglagern in Griechenland und Italien auf."
Da wir diesen Antrag so nicht stellen dürfen, da er sich außerhalb der Zuständigkeit der Kommune befindet, haben wir ihn anpassen müssen.
Die neue Formulierung zeigt jedoch das deutliche Dilemma, in dem wir uns befinden, und das uns leider die Hände gebunden sind: "Der Oberbürgermeister möge sich gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen, die zugesagten Relocation-Flüchtlinge schnellstmöglich nach Deutschland zu holen und erklärt gegenüber der Bundesregierung, 50 von diesen sofort im Rahmen des Königssteiner Schlüssels aufzunehmen."
Mit anderen Worten: Unser Appell ist richtig, die Wirkung wird voraussichtlich gering sein. Wer helfen will, scheitert an der "Wir-schaffen-das-Kanzlerin".
Im September 2015 hat sich Deutschland bereit erklärt, 27.500 Geflüchtete aus Griechenland und Italien innerhalb von 2 Jahren aufzunehmen. Die Zeit ist abgelaufen. Und wie viele Menschen sind bei uns angekommen? Knapp 8.000. Aktuell sind 19.684 der zugesagten Relocation-Flüchtlinge noch nicht in Deutschland. Für ein Land, in dem wir gut und gerne Leben.
Wie holen wir die Menschen zu uns?
Indem wir mutig sind und eine neue Bundesregierung wählen.
Denn Zukunft wird aus Mut gemacht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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